21.05.2023

Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr - Wilhelm Busch

Da es letzte Woche einen Muttertags Blogpost gab, dachte ich, heute gibt es einen Vatertags Beitrag, schließlich war dieser vor ein paar Tagen (am 18.05.2023). Ich habe diesen jedoch nicht mit meinem Vater verbracht, da ich seit Mittwoch wegen einem Katzensitting Job in Oberfranken bin. Doch das macht nichts, mein Papa ist es gewöhnt, dass ich viel unterwegs bin und wir sind trotzdem immer verbunden. So ist das eben mit einer Nomaden Tochter. Als ich das erste Mal in Thailand war und alleine auf Reisen, haben wir jeden Sonntag telefoniert. Das ist jetzt zwar nicht mehr so, doch wir schreiben regelmäßig über WhatsApp und schicken uns Tierfotos, Reisetipps oder andere Dinge, die uns verbinden. Den heutigen Text, den ich mit euch teilen möchte, habe ich meinem Buch entnommen, dass ich meinen Eltern gewidmnet habe, so wie jetzt den Mai auf dem Blog. Ich bin beiden unglaublich dankbar für alles was sie jemals für mich getan haben. Die Beziehung zu den Eltern ist nicht immer einfach, vor allem wenn man Trennungskind ist, doch es lohnt sich, diese zu pflegen und zu heilen. Denn es ist Fakt, dass niemand perfekt ist -  vorallem nicht die Eltern - und man sich gerade als Familie immer wieder verletzt. Das schöne dabei ist jedoch, dass man als Erwachsene entscheiden kann ob man sich als Familie wieder vereinigt oder ob es doch zu toxisch ist und somit besser, getrennte Wege zu gehen.
 
In diesem Sinne, viel Spaß mit dem Text aus meinem bisher unveröffentlichen Buch!
 
 

„Ich hasse es hier“ brüllte Amalie.

„Dann geh doch, wenn es dir nicht passt“ sagt ihr Vater gelassen.

Wütend schlug sie die Tür ihres Kinderzimmers hinter sich zu. Sie legte sich auf ihr Bett und weinte in ihr Kissen. Das tat sie immer, wenn sie wütend oder traurig war. Meistens war sie beides gleichzeitig. Sie wurde wütend und vor lauter Wut muss sie weinen und dann wurde sie traurig, weil sie gar nicht wütend sein wollte. Doch nicht auf ihren Vater, der so viel Gutes für sie getan hatte, mehr auf sich selbst. Ihr Vater verstand sie manchmal einfach nicht. So wie heute. Vielleicht lag es daran, weil er ein Mann war. Oder sie ein Mädchen. Oder weil sie, wie er sagte, überreagierte. Egal woran es lag, diesmal hat Amalie einen Entschluss gefasst. Sie würde weg gehen. Auch wenn es nur für ein Wochenende war. Die Frage, die sich allerdings stellte war: Wohin sollte sie gehen?

Einige Stunden nach dem sie sich beruhigt hatte, schrieb sie mit ein paar Freunden in Leipzig, die sie in einem Chatforum kennengelernt hatte. Amalie erzählte ihnen von ihrem Streit mit ihrem Vater und sie luden sie spontan nach Leipzig ein. Dort wollen sie eine Überraschungs-Geburtstagparty für einen Freund veranstalten. „Komm doch, das wird lustig! Du wärst der Überraschungsgast! Er würde niemals damit rechnen, dass du von … woher kommst du nochmal? Ach egal, das du eben vom anderen Ende Deutschlands anreist!“ Also war die Sache beschlossen. Amalie kannte diesen Freund schließlich auch und mochte ihn sehr. So sehr wie man eben jemanden aus dem Internet, denn man vorher noch nie gesehen hat, mögen konnte. Jedoch war Amalie nicht naiv oder dumm, sie hatte schon mit besagten Freunden telefoniert und auch bei MSN gecamt. Also war er kein alter Mann. Außer er hatte es gefälscht. Diesen Gedanken schob sie jedoch schnell zur Seite – wird schon alles gut gehen! Und wie konnte man sein Aussehen fälschen? Sie kaufte sich also am drauffolgenden Wochenende ein Zugticket nach Leipzig. Das ging trotz ihres Alters von 13 Jahren problemlos am Bahnhof selbst. Ihrem Vater sagte sie nichts davon. Der meinte, sie wäre das Wochenende über bei einer Freundin. Woher sie das Geld für das Zugticket hatte? Taschengeld. Und von ihrem Vater geklaut. Darauf war sie nicht stolz, denn sie hatte es das erste Mal getan. Aber ihr Vater hatte ihr nicht erlaubt, alleine nach Leipzig zu fahren um fremde Menschen aus dem Internet zu treffen. Sie hatte ihn gefragt, aber es sofort bereut. Das ganze hörte sich ja auch, zugegeben, etwas verrückt und vor allem riskant an. Aber sie wollte ein Abenteuer erleben. Sie hielt es Zuhause nicht mehr aus. Also stieg sie in den Zug und war in knapp 5 Stunden in Leipzig. Amalie, das erste Mal allein auf Reisen, stand verloren am Gleis und versuchte sich zu erinnern. „Wir halten ein Schild mit deinem Usernamen hoch, dann erkennst du uns“, hatten sie gesagt. Sie suchte das Schild in der Menge und da standen sie tatsächlich. Ihre Freunde aus dem Internet! Das große Mädchen mit dem lila Jack aus „Nightmare before Christmas“ im Haar und das etwas kleinere Mädchen mit den roten Strähnen und den Piercings im Gesicht. Sie begrüßten und umarmten sich wie alte Freunde und das Wochenende konnte beginnen! Alles war neu und aufregend, Leipzig war so groß, im Bahnhof konnte man richtig shoppen gehen, gerade war Weihnachtsmarkt und es lag so viel Liebe und Glück in der Luft. Alle verstanden sich hervorragend, die Überraschungs- Geburtstagsparty war geglückt, sie übernachtenden bei einem Freund in einem großen Matratzenlager, tranken Bier und hatten Spaß. Amalie war glücklich und vergaß ihre Sorgen. Am nächsten Tag hieß es jedoch wieder Abschied nehmen. Da sie jedoch keinen Cent mehr hatte, zahlten ihre Freunde das Zugticket für sie zurück nach Hause. Darüber hatte sich Amalie vorher überhaupt keine Gedanken gemacht! Also war sie wohl doch naiv gewesen. Aber mit einem Schöne-Wochenend-Ticket schaffte sie es trotzdem nach Hause und konnte ihr Glück nicht fassen. 

Aufgrund von Zugverspätungen kam sie viel zu spät am Abend Zuhause an. Ihr Vater hatte sich Sorgen gemacht und ihre Freundin angerufen. Als diese jedoch sagte, Amalie wäre nie da gewesen, war die Sorge groß. Dabei hatte Amalie ihrer Freundin eine Nachricht geschrieben, sie solle ihr Alibi sein. Doch ihre Freundin konnte ihren Vater am Telefon nicht anlügen und hatte gestanden, denn sie selbst machte sich nun auch Sorgen um Amalie. Die Strafe ihres Vaters? Es gab keine richtige. Nur ein enttäuschter Vater, der eine Woche lang nicht mit seiner Tochter redete. Und eine Tante, die dem Mädchen klar machte, wie enttäuscht ihr Vater sei und wie viele Sorgen er sich gemacht habe. Doch das war die größte Strafe die sich Amalie je vorstellen konnte - ihren herzensguten Vater zu enttäuschen, traurig zu machen und eine Woche lang von ihm ignoriert zu werden. Deshalb sagte sie ihn von da an immer, wann sie wo war und log ihn nie wieder an. 

Amalies Vater war zutiefst verletzt und enttäuscht. Er wusste nicht, was er falsch gemacht hatte. Er versuchte ein guter Vater zu sein, für alle seine vier Kinder. Doch wie jeden Alleinerziehenden plagten ihn jeden Tag Zweifel und Schuldgefühle. Tat er genug? War es richtig, ihnen so viele Freiheiten zu lassen? Er hatte keine strengen Regeln und hielt nicht viel von Bestrafungen. Seine Erziehungsmethoden beruhten auf Vertrauen, Ehrlichkeit und Liebe. Die Kinder hatten keine festen Uhrzeiten um nach Hause zu kommen. Hauptsache er wusste, wo sie waren  und sie kamen vor der Dämmerung wieder zurück. Sie lebten in einem kleinen Dorf, was sollte dort schon passieren? Kriminelle gab es hier nicht und jeder kannte jeden, es gab also keinen Grund, sich große Sorgen zu machen. Trotzdem hatte er es in seiner Kindheit anders erlebt. Seine Mutter, Amalies Oma, war eine sogenannte Helikopter-Mutter gewesen. Immer an seiner Seite und sich ständig Sorgen machend. Dazu hatte sie zum Teil auch Grund gehabt, denn als Kind litt er unter Kinderlähmung und lag einige Zeit im Krankenhaus. Als er dann wieder Zuhause war, durfte er nichts alleine. Jeder Schritt wurde überwacht und er musste alles machen, was seine Mutter ihm sagte. Neidisch blickte er auf seine große Schwester, die sich einfach ihre Freiheit nahm, reiste und nach San Francisco auswanderte. Wie gerne hätte er es ihr gleich getan und den Vogelkäfig verlassen. Doch das brachte er nicht übers Herz. Sein Herz gehörte seiner Mutter, er war loyal. Er gewöhnte sich daran, ein enges Verhältnis zu seiner Mutter zu haben, das sich mit dem Alter glücklicherweise etwas lockerte. Trotzdem wohnte er im gleichen Haus wie sie, damit er in ihrer Nähe war und aß regelmäßig jeden Sonntag mit ihr zu Abend. Obwohl er noch Nachwirkungen der Kinderlähmung hatte und auch einen Schwerbehinderten-Ausweis, der aufgrund diverserer Vergünstigungen recht praktisch war, spielte er Tennis, war im Billard Verein und nahm an Turnieren teil. Außerdem traf er sich regelmäßig mit seinen Freunden zum Backgammon oder Schach spielen, reiste in diverse Länder und traf eines Tages Amalies Mutter. 
 
Darum ging es auch in dem Streit, denn sie vor einigen Tagen hatten. Amalie hatte einen Brief von ihrer Mutter gefunden und ihn zu Rede gestellt, wieso er ihn versteckt hielt. Doch ihr Vater war noch nicht bereit, ihr alles zu erzählen und würde es vielleicht auch nie sein. Zu schmerzhaft waren die Erinnerungen. Amalies Mutter hatte ihm das Herz gebrochen und das würde er ihr nie verzeihen. Doch das Amalie weg gelaufen war, dass würde er Amalie verzeihen, denn er war ihr Vater und liebte sie über alles. Er wollte sie nicht auch verlieren, denn Amalie war ihrer Mutter so ähnlich, dass es manchmal schmerzte. Zudem bewunderte er heimlich ihren Mut, alleine auf Reisen zu gehen, wenn auch nur nach Leipzig um sich mit fremden Menschen zu treffen. Dieses Vertrauen darauf, dass alles gut gehen würde, hatte sie eindeutig nicht von ihm geerbt. Natürlich war es gefährlich und naiv gewesen und er stellte fest, dass er sich das erste Mal in seinem Leben ernsthaft Sorgen um Amalie gemacht hatte. Denn sie hatte das sichere Dorf verlassen und alles Mögliche hätte ihr geschehen können. Umso glücklicher war er, als sie heil wieder nach Hause kam. Sie zu bestrafen kam ihm auch gar nicht in den Sinn, denn er war schlicht und einfach überfordert mit der Situation. Er schwieg, weil er nicht wusste was er sagen sollte. Er war schon immer schlecht darin gewesen seine Gefühle auszudrücken. Deswegen war er sehr dankbar, als seine Schwester diese Aufgabe übernahm und Amalie ins Gewissen redete. Er wusste, dass Amalie zu ihrer Tante aufsah und auf sie hören würde. Er erkannte auch so viel von ihm in ihr - denn schließlich war sie seine älteste und einzige leibliche Tochter. Vielleicht hatten sie deshalb eine ganz besondere Beziehung. 
 
 
Danke Papa, dass wir uns so ähnlich sind. Durch dich habe ich vorallem Deutschlands schöne Ecken erkundet und tue das nun, ganz freiwillig immer wieder gerne,
 so wie momentan im Fichtelgebirge in Oberfranken.
<3 
 
 

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