02.04.2023

Verletztlichkeit macht stark

„Was ist nur mit den Frauen los?“ beklagte er sich und schaute sie dabei an.
„Die eine betrügt ihren Freund mit mir und die andere hat mich gefriendzoned, dabei verhält sie sich überhaupt nicht so“, frustriert nahm er einen Schluck aus der Tasse.
„Hmm“ machte sie. „Schwierige Situation. Ich kenne die Frauen nicht. Außerdem: als ob ich die Antwort wüsste. Ich bin 30, Single und lebe im Kinderzimmer meines Neffen“ antwortete sie lachend. 
 
 
Dann sagte sie ernst: „Irgendwie sind wir alle verletzte kleine Kinder, die sich nach Liebe sehen, sie aber nicht bekommen. Deine eine Frau, hat nicht den Mut ihre Beziehung zu beenden. Kann ich nachvollziehen. Sie hat sich ein Leben mit ihrem Partner aufgebaut und auch ein Business. Bei der anderen würde ich auf Beziehungstyp Rebel tippen. Ich kann dir da ein Buch empfehlen…“
 
„Ich möchte einfach nur eine Frau, die sich commited. Die zu mir steht. Und nicht denkt, ich habe 100 andere Frauen gleichzeitig und sich davon angegriffen fühlt. So ist es nämlich nicht. Ich möchte gerne monogam sein, doch wenn ich von der einen nicht das bekomme, was ich will, suche ich mir eben eine andere. Am Ende sitze ich trotzdem immer alleine zu Hause."
 

„Ich kann mir gut vorstellen, wieso diese Frauen so denken. Also erstens sind diese Frauen wohl grundsätzlich unsicher. Sie haben einen geringen Selbstwert und wissen nicht, was sie wollen und/oder woran sie bei dir sind. Zweitens bist du halt ein charismatischer Typ und redest mit allen – klassisch extrovertiert. Das hat mich bei meinem Ex damals auch verunsichert. Ich habe jedes Gespräch mit einer Frau als flirten aufgenommen. Bullshit. Dabei war mein Ex in mich verliebt und hat mir das auch gezeigt. Das Frauenhirn checkt das oft nicht. Ohne jetzt zu verallgemeinern, ich hatte viele Gespräche mit meinen Freundinnen darüber, die ähnlich Gefühle hatten. Wenn wir davon überzeugt sind, dass der Partner oder Schwarm flirtet, dann ist das so. Total dämlich. Anstatt das Gespräch zu suchen und nachzufragen –  viel zu scary! Ich bin froh, dass ich keine 20 mehr bin und das überwunden habe. Radikale offene Kommunikation, mein Freund, ich sag’s dir, das ist der Weg zum Glück. Egal wie scary es ist. Wie Brene Brown so schön sagt: Verletzlichkeit macht stark.
 
 „Und trotzdem wohnst du jetzt bei deiner Familie und nicht bei einem Lover oder Partner."
  
„Richtig. Irgendwie habe ich mich wohl dafür entschieden. Unterbewusst oder bewusst. 99% der Entscheidungen sind unterbewusst, verrückt, oder? Nach meiner letzten Trennung, sagte ich mir, mein zukünftiger Partner oder meine zukünftige Partnerin wohnt nicht in Deutschland. Ich glaube immer noch fest daran. Ich möchte auch nicht mehr in Deutschland leben, also würde es eh keinen Sinn machen. Wir ziehen das an, woran wir glauben. Was wir denken, verdient zu haben. Denkst du, du hast diese Frauen verdient? Dieses Drama? Ich würde dir raten, einen Schlussstrich zu ziehen. Ich möchte dich nicht weiter leiden sehen. Doch ich weiß, wie schwer das sein kann…“
 
 
 „Hast du eigentlich schon mal eine Frau gedatet?“ wechselte er das Thema.
 „Oh Gott nein! Ich habe keine Ahnung wie man das macht“ lachte sie.
 „Und ich bin auch echt ein Schisser. Ich wollte in Madrid in das LGBTQ Viertel gehen, dort etwas trinken und versuchen Leute kennenzulernen. Ging aber nicht, zu viel Social Anxiety. Wie weird ist es bitte, allein etwas trinken zu gehen?“
 „Dann müssen wir wohl zusammen in eine LGBTQ+ Bar oder so“, lächelte er.
 „Das würdest du für mich tun? Nicht dass du wegen mir von Männern angebaggert wirst. Auch wenn ich das witzig finden würde.“
 „Ach das ist mir schon öfter passiert. Schon komisch am Anfang gewesen, aber man gewöhnt sich daran.“ dabei grinste er.
 
 „Dating ist heutzutage so kompliziert geworden. Ich habe mich vor ein paar Monaten auf Tinder angemeldet, verzweifelt auf der Suche nach Acro Yogis und Freunden, ja ganz naiv und natürlich hat die Hälfte meiner Matches meine Bio nicht gelesen und wollte nur das eine“ erzählte sie weiter.
 „Und jetzt bin ich seit kurzem gesperrt! Ist das nicht absurd?!“ lachte sie.
 „Wie hast du denn das geschafft?“ fragt er verblüfft.
 „Das letzte, woran ich mich erinnern kann, ist dass ich meine Bio geändert habe. Ich habe geschrieben, dass ich nicht mehr in Spanien bin und BÄM geblockt. Muchas gracias!"
 „Wer braucht schon Tinder, ich war vor kurzem das erste Mal im Puff in der Schweiz.“
 „Waaas? In der Schweiz auch noch? Ist doch voll teuer, oder? Und ey, ich war dort echt nicht wegen Sex Dates. Ich wollte doch nur Leute kennenlernen…“
 „Ja ich wollte es mal ausprobieren. War ganz okay. Natürlich ist Sex mit Liebe oder einer Verbindung schöner. Schlussendlich ist Sex jedoch auch nur ein Bedürfnis, dass befriedigt werden muss. Und das habe ich eben in dieser Form.“
 „Krass, ich war noch nie im Puff.“
 „Für euch Frauen ist es ja auch einfacher Sex zu haben!“
 „Achja, denkst du? Wieso das wohl so ist?“ sie neigte den Kopf zur Seite.
 „Ich dachte immer, für Männer wäre es super easy mit jeder in die Kiste zu steigen.“
 „Die Zeiten haben sich geändert.“
 „Oder die Kreise, der Mindset. In der Spiri Bubble ist das vielleicht anders?!“, beide stellten nur Vermutungen an.
 „Ich finde, aufgrund von sexueller Gewalt und welche Aufmerksamkeit es in den letzten Jahren bekommen hat, sind wir Männer vorsichtiger geworden. Wenn du dann eh noch ein eher unsicherer Typ bist und sensibel, na dann ciao. Dann brauchst du eine Frau, die klar mit dir kommuniziert, sonst lässt du deine Hände einfach bei dir.“ sagte er.
 „Das ist irgendwie schön, finde ich. Aber auch nicht. Ich mag Männer die offensiv sind, mit denen ich mich messen kann. Nicht immer, aber die schüchternen, mit denen kann ich irgendwie nichts anfangen. Da komm ich mir so dominant vor…“
 „Du bist ja auch dominant…“
 „Entschuldigung?“
 Beide lachten.
 

 „Ja ok vielleicht. Manchmal. Jemand meinte mal zu mir, ich habe einen starken Charakter. Richtig erkannt. Ich weiß halt, was ich will. Wenn du damit nicht klar kommst, ciao! Forever alone…“
 „An dir ist ein Mann verloren gegangen, habe ich damals schon gesagt und bin ich immer noch der Meinung.“
 „Ich hatte eine Geschlechtsumwandlung in Bangkok“, sagte sie ernst.
 Er blickte sie verunsichert an.
 „Spaß!“ Lachte sie. „Ich habe das früher oft gesagt. Weil ich mich so männlich gefühlt habe. Dabei habe ich festgestellt, dass ich ein Ungleichgewicht habe zwischen meiner weiblichen und männlichen Seite. Ich glaube das verwirrt Männer die ich date auch. Mein Ex kam gut damit klar, aber mein letzter… du kennst ihn ja, der nicht so. Und es hat auch einfach nicht mehr gepasst. Ich wollte weder mit ihm Reisen noch nach Mannheim ziehen.“ 
 
 „Und was ist jetzt das Fazit von diesem Therapie Gespräch?“ fragte sie scherzend.
 „Männer und Frauen zu daten ist kompliziert?“ antwortete er fragend.
 „Nein ich glaube eher, wir müssen an unseren Glaubensätzen arbeiten, mein Freund…und ich brauche eine Alternative zu Tinder!"
 
***
Inspiriert von einem Gespräch im Februar 2023, mit künstlerischer Freiheit niedergeschrieben. Fotos ebenfalls von Februar 2023 aus dem abgelegenen Wald Camp in Spanien. Dort wo ich mein erstes Workaway Volunteering im Oktober 2022 gemacht habe und im Februar für ein paar Tage zurück kehren durfte.

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