12.03.2023

Glaubst du an die Liebe?

"Ich kann sie nicht anders beschreiben, für mich war sie einfach ein Engel", sagte er.
Ihr Herz zog sich zusammen. Wie kitschig, dachte sie sich. Aber wie romantisch zugleich.
"Erzähl mir mehr", hörte sie sich sagen. 
Sie schauten beide in das Feuer vor ihnen. Sie waren die letzten, die anderen waren schon längst ins Bett gegangen. Sie hatte sich an ihn angekuschelt und ihn gefragt, ob er ihr mehr über sein Liebesleben erzählen würde, denn sie suchte Liebesgeschichten für ihr neues Buch. Doch dahinter steckte mehr, sie sammelte diese für ihr hoffnungsloses romantisches Herz, das gebrochen war. Wie viele Geschichten musste sie hören und wieder an die Liebe zu glauben?
 
 
"Wir trafen uns auf der Insel Holbox in Mexiko", fuhr er fort.
"Wir verstanden uns auf Anhieb als sie ins Hostel eincheckte. Am nächsten Tag fragte ich sie, ob sie mit mir im Meer schwimmen wollte und sie sagte ja. Wir trafen uns also nach meinem Feierabend und verbrachten den ganzen Abend und die Nacht am Meer. Als es dunkel wurde leuchtete das Meer plötzlich blau - ich wusste nicht, dass es dort biolumineszenz gab - diese blaue Algen im Wasser. Natürlich konnten wir uns es nicht entgehen lassen, darin zu schwimmen, nackt. Es war romantisch, erotisch und wir verliebten uns."
"Are you fucking kidding me?" brach es aus ihr heraus. "Das ist so unglaublich schön, dass ich fast weinen muss", sagte sie und meinte es auch so. "Kein Wunder habt ihr euch verliebt...übrigens, was für ein Sternzeichen bist du?"
 
"Krebs", kam es aus ihm heraus geschossen.
"Oh"
"Was oh? Glaubst du etwa an Astrologie?"
"Ich habe einen Krebs-Fluch hinter mir" sagte sie zögernd.
"Erzähl mir mehr davon", ermunterte er sie und drückte sie dabei fester an sich.
Sie waren Freunde. Richtig gute Freunde, obwohl sie sich erst seit kurzer Zeit kannten. Sie waren intim miteinander geworden und kuschelten fast jede Nacht. Doch nach einem Missverständnis, war die Magie der ersten Nacht verflogen und jetzt waren sie nur noch Freunde.
"Ich glaube du bist gerade dabei den Fluch zu brechen", fuhr sie fort.
"Wie meinst du das?"
"Naja, mit den anderen Krebsen hat es immer sehr schlecht geendet. Ghosting oder Gaslighting. Der eine war ein aggressiver Mensch, wenn es um Astrologie ging und noch dazu ein Kiffer, der andere war ein Narzist, aber immerhin in Therapie. Und mein erster Krebs, naja, in war ich super verliebt. Aber er war zu weit weg, sein Vater ist gestorben als wir zusammen kamen und er kam aus einer anderen Kultur. Das war schwierig. Die Familie wollte, dass er sich eine Inderin sucht und heiratet. Wir hatten von Anfang an keine Zukunft. Immerhin konnte ich ihm während dem Verlust seines Vaters helfen. Er inspirierte mich, Märchen zu schreiben und Gedichte. Er war meine erste Muse. Das hat nicht mal mein Ex-Freund, mit dem ich 10 Jahre zusammen war, geschafft."
"Wow." mehr fiel ihm dazu nicht ein, deswegen betrachtetenden sie schweigend das Feuer.
 

Nach einer Weile erzählte sie weiter: "Weißt du, bei dir ist es anders. Bei dir bin ich viel bewusster. Unsere erste Begegnung war so intensiv - der Augenkontakt. Das war besonders. Wie oft schauen mir Männer in die Augen? Also so richtig? Erinnerst du dich?"
 "Klar, erinnere ich mich. Du hast viel gelächelt, das hat mir gefallen. Du wirkest so glücklich auf der Liege, in der Sonne, mit deinem Buch in der Hand. Wie eine Katze hast du dich geräkelt. Außerdem hast du mich sofort umarmt, als ich angekommen bin und hast mir die Jurte gezeigt. Ich habe mich willkommen gefühlt."
"Ich habe in einem Gästehaus gearbeitet, ich weiß, wie man mit Gästen umgeht", sagte sie lachend.
"Du weißt, wie man sich zuhause fühlt", fügte er ebenfalls lachend hinzu.
 
"Zurück zu dir und deiner Lovestory! Ich will mehr. Für mich bist du ein typischer romantischer Krebs, ich liebe das!"
"Ach, bin ich das?" sie betrachtete ihn von der Seite und konnte sein breites Lächeln sehen.
"Es gab kein Happy End für uns. Das schon mal als Spoiler" erzählte er weiter.
"Wir verbrachten eine wunderschöne Woche zusammen auf der Insel, ich arbeitete im Hostel und sie war Gast. Wir sahen uns jeden Tag nach der Arbeit und lernten uns kennen. Hast du dich je in einen Gast verliebt?"
Sie schüttelte den Kopf.
 
"Es ist grausam und wunderschön zu gleich. Sie machte mich auf die kleinen Dinge im Leben aufmerksam.  Manchmal hielten wir einfach so an und betrachteten einen Stein. Oder einen Schmetterling. Ameisen. Sie freute sich über einfache Dinge, ein Essen, die Sonne, das Meer. Wir lebten vollkommen im Moment zusammen, wir waren verliebt. Du kennst sicherlich das Gefühl, wenn die Zeit stehen bleibt. Und gleichzeitig vergeht sie so schnell, weil es so schön ist. Nach einer Woche mussten wir uns verabschieden. Sie musste wieder studieren und ich blieb im Hostel zum arbeiten. Am letzten Abend fragte sie mich, ob ich mit ihr kommen möchte. Doch ich musste ablehnen, meine Reise hatte gerade erst begonnen, ich konnte jetzt noch nicht gehen und alles für eine Frau aufgeben. Ich musste bleiben. Der Trennungsschmerz war tief und schrecklich."
 
Sie schwiegen wieder eine Weile und schauten in das Feuer. Sie legte einen Holzscheit nach, wich dem Rauch aus und küsste ihn auf die Stirn. Ja sie waren Freunde. Richtig gute Freunde.
 
"Was war das besondere an dieser Frau?" fragte sie neugierig.
"Wie bereits gesagt, sie war ein Engel. Und sie hat mir gezeigt, dass ich immer noch lieben kann. Ich dachte, ich hätte das verlernt."
 
"Und wie war das in Guatemala mit deiner Ex? Du meintest, dort wurde dir das Herz zuletzt gebrochen... und dort hattest du  auch das letzte Mal..., bevor wir..."
"In Guatemala war es intensiver. Ich habe auch wieder in einem Hostel gearbeitet und dort eine spirituelle Frau kennengelernt, ich würde sie als Schamanin bezeichnen oder sowas. Sie hat mir maßgeblich bei meiner spirituellen Entwicklung geholfen. Doch emotional war sie nicht 100% verfügbar, da sie sich frisch getrennt hatte. Trotzdem haben wir viel Zeit zusammen gebracht, durch sie kam ich in den Inner Circle der Spiri-New-Age Hippies und all den Veranstaltungen wie zum Beispiel Estatic Dance. Sie zeigte mir auch das Leben als Local dort. Als ich aufgrund Weihnachten zurück nach Europa ging, blieben wir in Kontakt und telefonierten fast täglich..."
Ihr Herz machte Sprünge. Wie verliebt er gewesen sein musste! Sie erkannte ihr jüngeres Ich in ihm wieder, in jedem Wort das er ihr erzählte.
"Im Januar kam ich zurück, hauptsächlich wegen ihr. Doch sie ging auf Abstand. Sie konnte nicht mit mir zusammen sein. Ich versuchte mit ihr zu reden, doch das Gespräch war einseitiger Fragenkatalog - ohne Antworten. Wir schwiegen uns an. Und ich verließ sie mit mehr Fragezeichen. Unsere letzten Worte waren wie folgt:
 
Möchten du mir sagen, was du davon hälst?

Nein, denn das ist Teil meiner inneren Welt, zu der du nicht mehr gehörst.

 
 
Das ist jetzt 10 Monate her.
Ich habe mich damit abgefunden, dass ich nicht oft Sex habe oder viele Frauen date. Du bist die erste seit ihr... und bei dir fühle ich mehr Freundschaft. Du bist wie eine Schwester für mich.
Ouch, dachte sie ich. Schlag in die Fresse! Im nächsten Moment, musste sie jedoch lachen. Hatte sie sich nicht die ganze Zeit gesagt, dass sie nur Freunde sind? Gute Freunde!

"Und ich darf wirklich über deine Liebesstorys schreiben?" fragte sie skeptisch.
"Klar wieso nicht?" antworte er und schaute sie dabei an.
"Danke", sagte sie lächelnd.
"Danke, dass du das mit mir und der Welt teilst. Du bist einfach ein Krebs", sagte sie lachend und legte sich auf ihren Rücken.

Er legte sich ebenfalls auf den Rücken und zusammen betrachteten sie den Sternenhimmel. Dafür sind Freunde da, dachte sie sich. 
 
Und mit jeder seiner erzählten Worte, glaube sie wieder ein bisschen mehr an die Liebe und fragte sich: braucht es denn immer ein Happy End?
***
Liebes Kolumne inspiriert durch ein Gespräch im Oktober 2022, mit künstlerischer Freiheit niedergeschrieben.

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