Heute habe ich eine ganz besondere Travel Story für euch. Zum ersten Mal habe ich sie nicht selbst geschrieben, denn mein Klassenkamerad Niclas hat mir freundlicherweise erlaubt, seine Geschichte hier zu veröffentlichen. Er hat sie anlässlich des
Prosapreis für Jugendliteratur der im Juli in Karlsruhe im Rahmen der Heimattage 2017 vergeben wurde geschrieben und dabei den 1. Platz gewonnen! Ich kann stolz behaupten, dass ich ihn sogar dazu animiert habe mitzumachen, da ich selbst aufgrund meines Alters nicht mehr teilnehmen durfte (ich war das erste Mal für etwas zu alt anstatt zu jung - lol). Aber auch ohne den Preis, hat es seine Geschichte verdient erzählt zu werden. Ihr glaubt mir nicht? Überzeugt euch einfach selbst...
Meine
Heimat brennt.
Alles, was ich mir aufgebaut hatte zerbarst unter
der tödlichen Wucht der fallenden Bomben, wurde zersiebt von dem
Maschinengewehrhagel und erstickt vom Giftgasnebel. Mir blieb nichts
mehr, man hatte mir alles genommen. »Kämpfen? Kämpfen! Für wen
denn? Die Regierung? Die Rebellen? Die Protestanten?« »Gegen
diejenigen, die dir alles nahmen!«, hatten meine Freunde gesagt. Mit
funkelndem Hass in ihren Augen und den Waffen in ihren Händen. Die
Mordinstrumente zum Spielen der Symphonie des Krieges, der Rache, der
selbsterklärten Gerechtigkeit. Nicht mit mir. Ich hatte mir dieses
grauenhafte Stück schon zu oft angehört. Ich kannte das Spielchen,
in dem niemand von uns gewinnen konnte. Nun war es genug, da war
nichts mehr für das es sich zu bleiben gelohnt hätte. Die Zeit war
gekommen meine Reise zu beginnen. Ich floh.
»Bleib, mein Sohn.
Räche deine Mutter und deinen Bruder!« Es gab nicht einen Tag, an
dem ich nicht voller Schmerz an die Worte meines Vaters dachte. Das
letzte was er zu mir gesagt hatte, bevor ich ihm den Rücken kehrte,
war so voller Hass zerfressen, dass er die Sicherheit seines einzigen
noch lebenden Kindes vergessen hatte. Er war kein schlechter Mensch –
im Gegenteil! Er war immer so lebensfroh und unbeschwert gewesen. Es
brach mir das Herz zu sehen, was der Krieg mit ihm anstellte. Tief im
Innern war er bereits gestorben. Ich floh, verließ meine zerstörte
Heimat, mein Zuhause. Doch der Tod verließ mich noch lange nicht.
Als wir es endlich auf das Schiff geschafft hatten und uns schon weit
weg von unserer von Krieg und Tod zerfressenen Heimat befanden
kenterte unser Schiff. Nach endlosen Meilen auf einem schäbigen
Kahn, zusammengepfercht mit Fremden, die im Laufe der Zeit zu
Bekannten und einige wenige zu Freunden wurden, zerschellte unser
Schiff wegen eines Sturmes nur wenige Meilen vor dem sicheren Hafen
an den Felsen eines herausstehenden Riffs. Die neuen Bekannte und
Freunde zerschellten entweder mit den Trümmerteilen an den scharfen
Felsen, oder ertranken in dem eiskalten Wasser.
Ich sah Männer,
Frauen und Kinder über Bord gehen und in der Dunkelheit
verschwinden. Das Meer wurde zur Todesfalle statt zum Weg ins
Paradies. Eines der Trümmer verletzte mich an der Brust und nahm mir
jegliche Kraft. Ich stürzte ins Wasser und sank wie gelähmt nach
unten. Ich erinnere mich als wäre es gestern gewesen: Es war eine
eisige dunkle Nacht. Kein Mond stand am Himmel, kein Stern erhellte
die Nacht. Nur Finsternis um uns herum. Angst erfüllte mein Herz,
als mich die salzige Dunkelheit umfing und bei dem Versuch etwas zu
sehen in meinen Augen brannte. Unter meinen Füßen lauerte ein
gigantischer, stockfinsterer Dämon, der mich zu sich hinab zog.
Da
packte mich eine entkräftete Hand und zog mich mit allerletzter
Kraft an die Oberfläche zurück. Benebelt blickte ich in das Gesicht
eines neu gefundenen Freundes. Das Salzwasser brannte überall auf
meiner Haut und in meinen Wunden. Von meinen Lungen ganz zu
schweigen. Auf einem schwimmenden Stück Treibgut harrten wir aus,
zusammen mit ein paar wenigen. Die überlebenden Kinder hatten
Vorrang. Ich versuchte trotz meiner Verletzung niemandem zur Last zu
fallen. Eine gefühlte Ewigkeit trieben wir hilflos herum. Die Angst
war mein ständiger Begleiter. Dieses dunkle, tiefe Meer verbarg
endlose schreckliche Geheimnisse vor mir. Ich mochte mir gar nicht
vorstellen, was plötzlich alles unter mir auftauchen könnte. Dann,
endlich, kam die ersehnte Rettung. Wir waren alle kurz vorm
Erfrieren. Das Rettungsboot war das schönste, was ich seit meiner
Flucht gesehen hatte. Sie holten uns an Bord, trockneten und wärmten
uns. Gaben uns zu Essen und zu trinken und brachten uns ans Festland.
An unser angestrebtes Ziel. Und dann sah ich es.
Eine komplett andere
Kultur, Bauweise, Traditionen und vieles mehr. Es war überwältigend!
Voller Erleichterung und Freude fielen wir uns in die Arme, trotz der
Verluste, die wir erlitten hatten. Doch es war noch nicht vorbei. Sie
schickten uns in Zügen durchs Land. Schoben uns von einem Ort zum
nächsten. Mein Freund und ich wurden getrennt, so war ich wieder
alleine. Ich kam an einem kleinen Dorf an, ähnlich wie das in dem
ich gelebt hatte, bevor es der Krieg erreichte – und zerstörte. Es
war ein schönes Plätzchen, doch die Menschen dort schienen sehr
distanziert, abweisend und … ängstlich. Sie wollten mich und die
anderen Flüchtlinge dort nicht haben. Sie wollten nicht, dass jemand
ihren Frieden störte. So wurde ich weitergeschoben. Ich hatte die
Hoffnung bereits aufgegeben in diesem Land eine neue Heimat finden zu
können. Der Kontakt zu meinem alten Leben war unmöglich
wiederherzustellen. Ich fragte mich oft wie es meinem Vater wohl
ergangen war.
Der Zug hielt, die Türen öffneten sich, ich wurde
hinausgeschickt. Da stand ich, inmitten einer riesigen Stadt.
Alleine. Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Verloren,
einfach verloren. Ein Flüchtlingshelfer kam auf mich zu und
versuchte herauszufinden, welche Sprache die meine sei. Danach
brachte er mich zusammen mit anderen noch durch ein paar
Bürokratie-Stellen und schließlich fand ich mich in einer renovier
bedürftigen Unterkunft wieder. Viele Flüchtlinge – und keiner
sprach meine Sprache. Die Zeit verging, ich fand sogar Arbeit in
einem Café gegenüber dem Stadtpark. Allerdings mit so wenig
Kundenkontakt, wie möglich. Tee und Kaffee kochen, Snacks
vorbereiten. Das waren meine Aufgaben.
Nach Feierabend ging ich oft
in den Park. Ein kleines grünes Fleckchen in Mitten einer
dunkelgrauen Stahl und Betonwelt. In diesem Grün schien alles so
friedlich. Kinder spielten, Paare trafen sich, doch in meinem Kopf
war der Frieden weit entfernt. Neben dem Krieg und dem Tod musste ich
Platz für die Sprache dieses Landes schaffen. So las ich mir die
Vokabeln aus meinem Wörterbuch immer und immer wieder laut vor.
»Hei…Hei-im…« Eine Welle von Verzweiflung brach über mich
hinein. Ich würde das nie können! Das war auch nicht mein Zuhause!
Was wollte ich hier überhaupt? Ich hätte nie weggehen sollen. Ich
hätte kämpfen sollen!
»Heimat.«
Verwundert schaute ich
nach der Stimme, die mich aus den Gedanken riss. Vor mir stand eine
junge Frau, langes blondes Haar, kristallblaue Augen. Ich hatte
sowieso schon nicht so häufig mit Frauen gesprochen, und dann stand
plötzlich sie
da. »Heimat«, wiederholte sie und lächelte sanft. Bei dem Lächeln
wurden meine Knie weich, zum Glück saß ich auf der Parkbank.
»Heimat…« wiederholte ich, unsicher wie ich war. Die Frau deutete
sich neben mich zu setzen. Ich nickte und machte ihr mehr Platz –
auch wenn es sicher nicht nötig gewesen wäre. Sie warf einen Blick
in mein Wörterbuch und kicherte. Was so lustig daran war verstand
ich nicht. Jedoch war es besser als die ganze Abneigung und Angst,
die ich sonst zu spüren bekommen hatte. Sie zeigte nichts
dergleichen. Im Gegenteil. Wir begannen und zu unterhalten. Nun ja,
genaugenommen riss sie mich regelrecht in die Unterhaltung rein, aber
es war angenehm. Nachdem sie ein paar Minuten mit mir geredet hatte
nahm sie mich bei der Hand, sagte irgendwas mit »Beste Übung ist
Praxis« und zog mich mit sich.
Diese fremde Stadt wurde plötzlich
zu einer interessanten Stadt, voller kleiner Geheimnisse und
Geschichten. Dort gab es viele schöne Orte zu entdecken. Zum
Beispiel eine Statue, errichtet zu Ehren eines eigentlich
unbedeutenden Mannes, der große Taten zum Wohl seiner Familie
vollbrachte. Sie zu sehen machte mich traurig. Hatte ich meine
Familie verraten? Wozu bin ich davongelaufen? Es war doch nur mein
eigener Egoismus. Die junge Frau musste bemerkt haben, dass sich
meine Laune schlagartig verschlechtert hatte, sie nahm meine Hand und
zog mich weg von dem Denkmal. Weiter ging es in ein Kino. Natürlich
kannte ich das damals. Ich kam aus einem Kriegsgebiet, nicht aber vom
Rand der Zivilisation. Doch zugegeben: So eine große Leinwand gab es
bei uns nicht. Selbstverständlich zog sie mich in einen schnulzigen
Liebesfilm. Der Film war grauenhaft, aber er gab mir Ablenkung und
lenkte meine Gedanken in eine schönere Richtung. Nicht auf die
Familie, die ich verloren hatte, sondern auf die Familie, die ich
noch bekommen würde. Danach ging es weiter, und weiter. Bis
schließlich der Mond die Sonne vollständig vertrieben hatte. Das
war der schönste Tag meines Lebens.
Von da an trafen wir uns
fast täglich im Park, ich offenbarte ihr immer mehr von mir und
meiner Geschichte. Im Gegenzug erfuhr ich immer mehr von ihr. Das
Aufstehen morgens machte mir plötzlich nichts mehr aus, denn ich
hatte jeden Tag etwas, auf das ich mich freuen konnte. Sogar die
Arbeit begann mir Spaß zu machen. Ich wusste ich machte einen
verdammt guten Kaffee. Das wichtigste aber war, dass er auch ihr
schmeckte. Und das tat er. Die Monate vergingen, ich sah die Stadt
und mein neues Leben jetzt mit anderen Augen. Von meinem Vater hatte
ich noch immer nichts gehört, doch wusste ich nicht, wie ich darüber
denken sollte. Ich würde nicht noch einmal zurückgehen. Dafür
hatte ich zu viel gewonnen. »Wenn du deine Heimat gefunden hast,
darfst du sie niemals verlassen.« Das waren die Worte meines Vaters.
Er hatte sie immer gesagt, als ich noch ein kleiner Junge war. Ihre
Bedeutung habe ich nie verstanden.
In letzter Zeit dachte ich viel
über sie nach. Wieso fiel es mir dann so unglaublich schwer wieder
zurück zu gehen? Wieso waren meine Gefühle nicht mehr an dieses
Stück Land gebunden? Oder an das, was ich dort zurückgelassen
hatte? An einem schönen Sommertag lagen wir nebeneinander im
Gras. Vor der Parkbank, an der wir uns kennengelernt hatten. Ich
schaute in die vorbeiziehenden Wolken und plötzlich wurde mir alles
klar. »Wenn
du deine Heimat gefunden hast, darfst du sie niemals verlassen.«
So hallte seine sanfte Stimme in meinem Kopf wieder. Sie legte
ihren Kopf zu mir auf die Seite und fragte nur: »Heimat?« Ich
nahm ihre Hand und antwortete: »Du.«
Wie hat euch die Geschichte gefallen?
Wow, dein Kumpel hat einen beeindruckenden Schreibstil! Sehr bildlich und packend.
AntwortenLöschenWie schön, dass du ihn so unterstützt - ihn zum Mitmachen motivierst und seine Geschichte mit uns teilst!
Er soll aufjedenfall weiterschreiben! Und ich würde mich sehr freuen auch mal eine Geschichte von dir zu lesen :)
Liebst,
Pia
vielleicht wird alles vielleichter
Haha, das kenne ich. So langsam wird man für die ersten Dinge doch echt glatt zu alt. ;)
AntwortenLöschenAber schön, dass du deinen Freund motivieren konntest bei so etwas mitzumachen! Schreiben kann er ja, aber manchmal fehlt den Kreativen auch ein bisschen der Mut (oder ein Tritt in den Hintern ;)).
Ich weiß sehr gut was du meinst; ich habe mich damit auch viel beschäftig und generell viel an mir gearbeitet was das angeht. Umso mehr erstaunt es einen, wenn man manchmal gegen solche Ängste auch gar nichts machen kann und sie einen schlicht und ergreifend überrollen...
Mittlerweile geht es natürlich schon wieder!